Mich interessiert der Blick,
der die Welt streift,
sie jedoch nicht in eine Eindeutigkeit bannt.
Gabriella Disler
IMPRESSION – AUGENSCHEIN UND EINPRÄGUNG
Über Monate näherte sich die Basler Künstlerin Gabriella Disler der Kunsthalle Wil an, lernte deren Architektur und atmosphärischen Qualitäten detailliert kennen und untersuchte insbesondere die wandelnde Intensität des Lichtes in den verschiedenen Bereichen des Baus. Ihre differenzierten Beobachtungen der sich unablässig ändernden Architektur-Wirkung und Raumstimmung hielt sie in photographischen Aufzeichnungen fest, welche ihr daraufhin als Grundlage und Rohstoff für ihre drei Licht-Inszenierungen in Loggia, Halle und auf der Estrade dienten.
Lichtglühn / Glühlicht
Wie kleine Irrlichter wirken die in der Loggia verteilten dreizehn Glühbirnen in schlichten Porzellanfassungen. Im halbdunkeln Raum scheinen die Lichtpunkte über dem Boden zu schweben, während die Kabelverschlaufungen den Lichtern als Wurzelknäuel dienen. Die Lichter setzen die Akzente im Raumfluss. Von aussen in diesen Zwischenraum der Kunsthalle eintretend, finden sich die Besucher in einer besonderen Licht-Poesie. Die Placierung der Fassungen bildet analog zur Lyrik das Versmass und bestimmt den Rhythmus der Raumerfassung. Das Lichtglühen löst sich von seiner materiellen konkreten Bedingung und formt sich zum eigentlichen Energiefeld. Das ruhige Glühen wird indes immer wieder von den Scheinwerfern draussen vorbeifahrender Automobile überstrahlt und von den manchmal durch die grossen Hallenfenster fallenden Projektionslichtern umspielt. Die Konstanz der Glühlichter erfährt willkürliche Blendung; die kontrastierende Störung erweist sich gewissermassen als augenblickliche Bereicherung. Der schweifende Blick über dieses Gefilde der Lichter führt zu träumerischen Erinnerungen an Naturszenerien wie Wollgrasfelder in Hochmooren oder idyllische Seerosenteiche. Dergleichen persönliches Finden von Analogien und das Wecken individueller Visionen bei Betrachterinnen und Betrachter ist ein Anliegen der Künstlerin: «Es geht mir darum herauszufinden, was dem realen, für jeden sichtbaren Raum im Bereich des atmosphärischen Empfindens gegenübersteht.» GD
Sphère
Überblendende Projektionen auf hängende transparente Flächen erzeugen in der Halle einen kaleidoskopischen wie magischen Licht-Raum, welcher die Architektur erfüllt und durch Reflexe und Brechungen verunklärt. Die für die Installation «Spère» verwendeten Aufnahmen realisierte Gabriella Disler, indem sie wiederholt vor Ort weilte und besondere Beleuchtungsmomente mit ihrer Kamera einfing. «In der Kunsthalle Wil faszinierte mich von Anfang die Architektur des Gebäudes und der unablässige Wandel des Lichtes – wie das Licht sich zeigt, wo das Licht sich einnistete, wie es den Raum bespielt. Ich wollte festhalten, wie Lichtzeichnungen der semitransparenten Gebäudehülle sich abzeichnen, sich Schicht um Schicht auf Fenster, Boden, Wände überlagern, sich an Rändern brechen, sich über spiegelnde Flächen vorpflanzen. Ich beobachtete die Durchlässigkeit der Übergänge von Aussen nach Innen, ich erlebte wie das Licht die Räume füllte und entleerte.» GD
Die von den beiden Beamern auf die transparenten Flächen geworfenen Bilderreigen reflektieren je nach Intensität der projizierten Aufnahmen und des augenblicklich vorhandenen Tageslichtes mehr oder weniger prägnant. Sie brechen sich, überlagern sich flüchtig. Wer in diesen Raum/Projektionsraum eintritt und dort selbst zur Projektionsfläche und somit zum Teil des facettenreichen Licht-Schatten-Spiels wird, erlebt die sich immerfort wandelnden Licht-Schatten-Muster auf verblüffende und Weise sozusagen am eigenen Leibe.
Lichtung
Die Akzente, welche das durch die geschwungene Lukarne einfallende Licht im Obergeschoss variantenreich setzt, bildet den Ausgangspunkt für Gabriella Dislers Intervention auf der Estrade. Formgebend sind die photographierten Lichtwürfe, die sich bei bestimmten Sonnensituationen für Momente im Übergang Boden/Wand ‚einschmiegen’ oder die sich wie ein Hauch auf den Rand der Brüstung ‚setzen’. Durch die Reduktion ihrer vielen Lichtabbildungen auf die reine Form schuf die Künstlerin einen abstrakten Rapport für ihre Raumzeichnung. Eine transparente Folie, aus der die ornamentale Übersetzung der Lichtwürfe ausgeschnitten ist, entfaltet sich als Raumzeichnung von der hinteren Wand über den Boden in den Raum hinein; aus der Fläche herausgelöste Einzelteile schliessen an die auslaufende Folie an. Das transparente farblose Material fängt seinerseits wieder Licht ein und reflektiert es zart schimmernd, so dass der Eindruck von Rinnsalen oder Eissplittern entstehen mag.
Das Eingebettet-sein im offenen Gebälk der Galerie verleiht dem Titel «Lichtung» eine Referenzfunktion und lenkt die Imagination auf den Wald-Kontext: Durch das bewegte Blätterwerk einfallende Sonnenstrahlen tanzen durch das Unterholz und überziehen den Boden mit leuchtenden Flecken. Solche Naturidylle hat Künstler seit Jahrhunderten fasziniert und zur malerischen Interpretation angeregt. Gabriella Disler indes lässt das Illustrative hinter sich und zeigt eine Übersetzung der Sonnenflecken in ein ungewöhnliches Medium. Die extrahierten Formen erweisen sich nachgerade als einleuchtende Abstraktion für das Fliessende und Flüchtige des Lichts.
Essenz
Als Quintessenz ihrer Ausstellung entwickelte Gabriella Disler auf der Basis der fotografierten Lichtwürfe Heliogravüren: diese nuancenreichen Tiefdrucke in limitierter Edition speichern und überdauern die intensive Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Licht-Raum-Licht-Phänomen. Geheimnisvoll blitzen die Lichtformen auf dem Büttenpapier auf und geben keinerlei Aufschluss über ihre Entstehung, ihre Gestalt oder ihren Ortsbezug. Die Schemen wachsen aus dem Dunkel hervor oder scheinen sich im Moment zu verflüchtigen.
Mit all ihren Werken verwandelt die Künstlerin die Kunsthalle zu einem Ort von sinnlich poetischerAusstrahlung. Die Installationen verschränken sich zum begehbaren Gesamtkunstwerk– zusammen bilden die drei unterschiedlichen Wahrnehmungsräume eine Hommage an das Licht in seinen faszinierend vielfältigen Erscheinungsformen.
Mit ihren Werken verleiht die Künstlerin dem Ort eine sinnlich-poetische Ausstrahlung. Die Installationen verschränken sich für die Besucherinnen und Besucher zum begehbaren Gesamtkunstwerk. Zusammen bilden die drei unterschiedlichen Wahrnehmungsräume eine Hommage an das Licht in seinen faszinierend vielfältigen Erscheinungsformen.
Gabrielle Obrist